Handtuchkriege am Pool: Von Psychotricks und Platzhirschen
Warum das Reservieren von Sonnenliegen für viele zum Urlaub dazugehört – und Hotels damit leben lernen.

Es gibt viele gute Gründe, im Urlaub früh aufzustehen. Die Aussicht auf ein romantisches Frühstück am Meer. Der Joggingtrail am Strand. Oder eben: Die erste Reihe am Pool. Spätestens seit die sozialen Medien voll sind mit Videos von Menschen, die noch im Halbschlaf Liegen besetzen, ist klar – der Sonnenliegenkampf ist zurück. Mit voller Wucht.
Was früher mit einem verstohlenen Blick und einem dezent drapierten Handtuch begann, ist heute ein Kampf mit System. Einer, der laut einer aktuellen Umfrage von HolidayCheck längst in der Mitte der Urlaubsgesellschaft angekommen ist: 60 Prozent der Befragten haben das Phänomen selbst schon beobachtet, jeder Vierte gibt zu, selbst schon mal aktiv reserviert zu haben. Doch was bringt Menschen dazu, sich im Morgengrauen Liegen zu sichern – obwohl sie genau dieses Verhalten bei anderen kritisieren?
Die Antwort liegt laut Psychologin Barbara Horvatits-Ebner im Bedürfnis nach Kontrolle, Sicherheit und Zugehörigkeit. Und – man ahnt es – im Herdentrieb. Wenn alle reservieren, reserviert man eben mit. Und wenn dann noch der Lieblingsplatz winkt, ist das Handtuch plötzlich Argument, Waffe und Friedensangebot zugleich.
Der stille Kampf ums Stammplatzerl
Doch wie gehen Hotels damit um? Ein familiengeführtes Haus am Wörthersee etwa, in dem auch Mitglieder unserer Redaktion schon genächtigt haben, vertraut auf eine fast schon feudale Liegenordnung: Stammgäste haben – unausgesprochen, aber unumstößlich – Vorrang auf ihren gewohnten Plätzen. Wer rechtzeitig kommt, aber nicht zu früh (denn vor dem Säubern und hübschen Drapieren durch das Personal ist der Zutritt ohnehin verpönt), legt sein Handtuch dezent aus, geht zum Frühstück – und kehrt dann zurück, um sich seinen verdienten Platz zu sichern. Niemand regt sich auf, solange das Ritual eingehalten wird.
Kurzzeitgäste, Vorsicht!
Weniger diplomatisch wird es in einem etwas exklusiveren Hotel am Zeller See. Das Hotelmanagement duldet Stammgäste mit Besitzanspruch, zeigt aber wenig Verständnis für Gelegenheitsurlauber, die zwar reservieren, aber dann stundenlang nicht auftauchen. Wenn ein Handtuch stundenlang allein die Aussicht genießt, während sein Besitzer auf Entdeckungstour ist, wird schon mal ein sanfter Hinweis erteilt. In der Tonart: höflich, aber bestimmt.
Generell hält sich die Mehrheit der Hoteliers laut unseren Recherchen jedoch lieber raus. Solange sich die Gäste gegenseitig die Meinung geigen, beobachtet man die Szene schweigend. Erst wenn es laut wird, wird interveniert. Konfliktmanagement light – inklusive Kübel kaltem Wasser, falls nötig.
Laut HolidayCheck wünscht sich jeder Zweite klare Regeln. Und 20 Prozent fänden es gut, wenn die Liegen erst ab einer bestimmten Uhrzeit freigegeben werden. Immerhin 15 Prozent entziehen sich dem Drama komplett – und gehen gleich an den Strand. Das könnte man auch als evolutionären Fortschritt bezeichnen.
Ordnung muss sein
Wer denkt, Italien sei das Land der Improvisation, der war noch nie am Strand von Lignano. Hier herrscht nicht Dolce Vita, sondern klare Ansage – zumindest was die Strandordnung betrifft. Die Liegen sind nummeriert, die Schirme fest verankert, und das System ist ebenso einfach wie unerbittlich: Jede Unterkunft hat ein festes Kontingent an Liegeplätzen. Beim Check-in erhält man eine Zuteilung, häufig sogar mit Lageplan. Wer wo liegt, ist also geregelt – Diskussionen erübrigen sich.
Und wer trotzdem versucht, mit dem Handtuch zu tricksen, bekommt es mit dem Bagnino zu tun – dem Bademeister. Dieser patrouilliert regelmäßig den Strand, freundlich, aber mit Autorität. Ein Handtuch auf einer fremden Liege? Wird kommentarlos entfernt. Ein Sonnenschirm, der eigenmächtig versetzt wurde? Wird kurzerhand zurückgeschoben. Dreiste Reservierer? Haben an der italienischen Adria keine Chance.
Urlaub ist, was man draus macht
So verständlich der Wunsch nach Struktur und Fairness ist – eine allgemeingültige Lösung für „Handtuchkriege“ scheint es nicht zu geben. Hotels können Regeln erlassen, Öffnungszeiten definieren, Schilder aufstellen – aber am Ende bleibt es ein psychologisches Spiel, das unter den Gästen ausgetragen wird. Und ein Spiegel unseres Sozialverhaltens.
Wer also wissen will, wie viel Nähe, Machtgefühl und Revierdenken ein Ferienhotel verkraftet, muss nur beobachten, was morgens am Pool passiert. Am Ende bekommt man genau das Maß an Frieden, Fairness und Freiraum, das man bezahlt hat – und das man selbst bereit ist mitzugestalten.
Ob „first come, first served“, „early bird catches the worm“ oder doch das Recht des Stärkeren gilt – entscheidend ist weniger die Hausordnung als das Mindset. Denn wer meint, mit Egoismus den Erholungswert seines Urlaubs steigern zu können, der sollte seinen Sommer nicht auf der heißen Sonnenliege verbringen – sondern woanders einen kühlen Kopf bewahren. Vielleicht irgendwo im hohen Norden. Ganz ohne Handtuch.
(red)