Sterneküche: Wenn Spitzenköche schummeln
Etikettenschwindel, Arbeitsdruck, Täuschung am Gast: Mehrere Fälle offenbaren ein Systemproblem der Sterne-Gastronomie.

Ein Zwei-Sterne-Lokal in Wien, gefeiert für seine kreative Küche, steht unter Beschuss. Der Vorwurf: Täuschung – gegenüber Gästen, Lieferanten und dem eigenen Team. Im Februar 2025 berichten zuerst die Wiener Zeitung, später auch die Welt am Sonntag von gravierenden Missständen hinter der glanzvollen Fassade des Haubenrestaurants. Im Zentrum der Kritik stand der Wiener Sternekoch Konstantin Filippou. Die Recherchen offenbarten ein beunruhigendes Bild: falsch deklarierte Spitzenprodukte, fragwürdige Hygienebedingungen und Personalführung.
Luxus auf der Karte – Tiefkühlware im Kübel
Interne Chats und Fotos, die der Wiener Zeitung vorliegen, sollen die Anschuldigungen belegen. Filippou selbst räumt ein, bei Lieferengpässen auf gleichwertige Ware zurückzugreifen – doch über die Abweichung sei das Servicepersonal informiert gewesen. Ehemalige Mitarbeiter widersprechen. Gäste hätten systematisch getäuscht werden müssen, um den hochpreisigen Mythos aufrechtzuerhalten.
Küchenbetrieb unter Druck
Neben der Produktkritik wurde auch ein Licht auf die Arbeitsbedingungen im Betrieb geworfen. Bis zu 18 Stunden pro Tag, sechs oder mehr Tage die Woche, nicht immer fair entlohnt, keine geregelte Freizeit – so schildern sie ihren Alltag. Die Wiener Arbeiterkammer bestätigte in einem Fall ausstehende Überstundenvergütung; erst nach Androhung rechtlicher Schritte sei diese bezahlt worden.
Im Zentrum der Kritik steht auch der Ton. Ex-Köch:innen berichten von systematischer Herabwürdigung, Beschimpfungen und einem Klima der Angst. Filippou bestätigt auf Anfrage, einzelne Ausdrücke „in Stressmomenten“ verwendet zu haben, weist aber vorsätzliche Beleidigungen zurück.
Ein strukturelles Problem
Was der Fall Filippou offenbart, ist kein Einzelfall. Wie Michaela Ernst in der Welt am Sonntag analysiert, ähneln die Erzählungen jenen aus anderen Ländern. In regelmäßigen Abständen sorgen dort Berichte über Missstände in der internationalen Spitzengastronomie für Skandale. „Das Schlimme dabei ist“, schreibt Ernst, „es handelt sich nicht um Einzelfälle.“
Tatsächlich leben viele Betriebe in einem Widerspruch: außen kultivierter Luxus, innen militärischer Drill. Die Hierarchie ist steil, die Erwartungshaltung absolut. Junge Talente lassen sich ausnutzen in der Hoffnung auf eine spätere Karriere. Der Preis: Burn-outs, Depressionen, Branchenflucht.
Andere Töpfe, gleiche Muster
Auch international sorgt das Verhalten prominenter Küchenchefs regelmäßig für Negativschlagzeilen – von München über London bis Miami. Die Namen sind unterschiedlich, die Mechanismen oft dieselben.
Alfons Schuhbeck: Vom TV ins Gericht
Der Münchner Starkoch Alfons Schuhbeck, einst Liebling der Boulevardpresse, wurde im Juli 2025 erneut verurteilt – diesmal wegen Insolvenzverschleppung, Subventionsbetrug und vorsätzlichem Bankrott. Zusammen mit einer vorangegangenen Verurteilung wegen Steuerhinterziehung ergibt sich eine Gesamtfreiheitsstrafe von über vier Jahren. Der Schaden liegt bei rund 27 Millionen Euro. Schuhbecks Fall zeigt exemplarisch, wie kulinarischer Ruhm, Medienrummel und unternehmerisches Versagen in der Spitzengastronomie kollidieren können.
Nusret Gökçe: Marketing statt Moral
Als „Salt Bae“ wurde Nusret Gökçe weltberühmt – seine Fleisch-Inszenierungen sind ebenso spektakulär wie seine Preise. Weniger bekannt: In mehreren Ländern sah er sich mit Klagen ehemaliger Mitarbeiter konfrontiert. Die Vorwürfe reichen von nicht ausbezahlten Trinkgeldern über diskriminierende Arbeitsbedingungen bis hin zu Gesundheitsverstößen. Hinter der glitzernden Oberfläche seiner Restaurants wird ein Arbeitsumfeld sichtbar, das weit von den goldbestäubten Steaks entfernt liegt.
Jamie Oliver: Absturz einer Vorzeigefigur
Er galt als Reformator, kritisierte Schulessen und setzte sich für gesunde Ernährung ein – doch Jamie Oliver scheiterte mit seinem Gastronomie-Imperium. 2019 musste er den Großteil seiner britischen Lokale schließen, rund 1.000 Mitarbeitende verloren ihre Jobs. Kritiker warfen ihm vor, seinen moralischen Anspruch durch fragwürdige Markenpartnerschaften konterkariert zu haben. Auch intern hagelte es Kritik an seinem Führungsstil. Die Lehre: Selbst gutes Image schützt nicht vor strukturellen Fehlentscheidungen.
Ein System unter Druck
So unterschiedlich die Fälle sind – sie alle weisen auf eine zentrale Schwachstelle hin: Die Rollen in der Spitzengastronomie haben sich vervielfacht. Wer heute erfolgreich sein will, muss nicht nur kochen, sondern auch führen, rechnen, verhandeln, vermarkten – und das unter Beobachtung von Öffentlichkeit, Guides und Online-Bewertungen. Für viele wird genau das zur Überforderung.
Hochseilakt mit Systemrisiko
Ob in Wien, München oder London – die Fälle rund um Filippou, Schuhbeck, Gökçe oder Oliver zeigen: Die Schattenseite des kulinarischen Glamours ist real. Es sind nicht Einzelfälle, sondern Symptome einer Branche, die über ihre eigenen Ansprüche stolpert. Wer alles sein will – Kochkünstler, Unternehmer, Aushängeschild – scheitert oft an der Gleichzeitigkeit dieser Rollen.
(red)