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Warum wir insektisch essen sollten

Was vor einigen Jahren noch als Spaß in TV-Sendungen galt, bahnt sich allmählich den Weg in die heimische Küche: Insekten.

14.06.2024 9:44
Redaktion
© Raphael Just

Insekten werden oft als Nahrungsmittel der Zukunft beschrieben. Dabei sind sie eigentlich alles andere als neu – nicht mal hierzulande. Vier verschiedene Arten an Krabbeltieren hat die EU bis dato als Lebensmittel zugelassen. So darf seit dem Jahr 2021 der Mehlkäfer im Larvenstadium in Lebensmittel verarbeitet werden, gefolgt von der Wanderschrecke, dem Buffalowurm und der Hausgrille. Acht weitere Arten stehen auf der Warteliste.

Neue Nahrung, neue Normen

Kernpunkt ist die Verarbeitung. Denn in gefrorener, getrockneter und pulverisierter Form dürfen viele Insekten bereits beigemengt werden. Neu ist die Verwendung von teilweise entfettetem Grillenpulver; es gilt als „neuartiges Lebensmittel“. Doch was bedeutet das? Als sogenanntes „Novel Food“ zählt es zu einer Gruppe an verzehrbaren Waren, die vor dem 15. Mai 1997 in einem nicht nennenswerten Umfang konsumiert wurden. Jedes neue Insekt benötigt also eine eigene Zulassung. Bevor diese erteilt wird, wird jeder Antrag von der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) geprüft und anschließend den EU-Mitgliedsstaaten zur Abstimmung freigegeben.

Abgesehen von dem Mythos, dass man im Schlaf acht Spinnen jährlich verschluckt, ist die Angst, ein Insekt unabsichtlich zu verzehren, aber unbegründet. Denn die Kennzeichnung ist streng geregelt – wenn auch ausbaufähig. Sind diese in einem Produkt vorhanden, müssen sie auf der Zutatenliste mit deutschem und lateinischem Namen vermerkt sein. Wichtig ist auch der Hinweis auf Allergene, denn ist man auf Krebs-, Weich-, Krustentiere oder Hausstaubmilben allergisch, können ähnliche Reaktionen auch hierbei auftreten. Auch die Information, dass es sich um Insekten aus einem Zuchtbetrieb handelt, muss vorhanden sein. Verbraucher hoffen besonders auf eine Regelung, in der die originelle Beimischung bereits an der Vorderseite eines Produkts gekennzeichnet wird.

Von der Larve zum Leckerbissen

Aber woher kommen die Insekten, die später zu Lebensmittel verarbeitet werden? Für die meisten im ersten Moment undenkbar, kam in der Nachkriegszeit noch die Maikäfersuppe auf den Tisch. Ohne Flügel und Beine wurden die Maikäfer angebraten und anschließend in einer Suppe gekocht. Rund 30 Stück wurden für eine Portion benötigt. Für die heutige Lebensmittelindustrie sind Käfer aus Wildfang ungeeignet. Im Gegenzug zu unserem deutschen Nachbarn dürfen in Österreich ausschließlich gezüchtete Tiere in den Lebensmittelverkehr eingebracht werden. Spezifische Regelungen gibt es keine, die Verantwortung liegt beim Züchter, der wiederum die allgemein geltende Lebensmittelhygiene in Bezug auf Nutztiere (hierzu zählen Insekten) zu beachten hat. Neben der adäquaten Fütterung, Haltung oder Lagerung dürfen die gezüchteten Tiere nur dann verkauft werden, wenn sie nach der Tötung mit Hitze oder Hochdruck behandelt wurden. Um zu gewährleisten, dass die Ware keimfrei ist, muss ein solcher Vorgang vor dem Vertrieb nachgewiesen werden.

„Insekten sind eigentlich sehr geschmacksneutral bis leicht nussig“, meint der österreichische Insekten-Guru Christoph Thomann // © Dominik Geider

Branchenkenner schwärmen außerdem von der Nachhaltigkeit in der Produktion. 80 Prozent des Tieres sind essbar; zudem sind die Krabbler Kaltblüter und verbrauchen weniger Energie und Ressourcen wie Futter und Wasser. Die Züchter freuen sich über deren hohe Reproduktionsfähigkeit und gleichzeitig platzsparende Haltung; das Klima dankt mit geringeren Emissionen. Laut der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) soll die Nachfrage nach tierischen Produkten im Jahr 2050 so hoch sein, dass die EU gewissermaßen keine Wahl hat, außer sich nach neuen Alternativen umzusehen.

„Die Nahrung der Gegenwart“

Als Vorreiter und gewissermaßen Insekten-Guru hierzulande gilt Christoph Thomann. Der Gründer von „Zirp“, Österreichs größtem Unternehmen in puncto insektischer Lebensmittel, ist seit 2010 überzeugter Insektenesser. „Zwei Milliarden Menschen essen jeden Tag Insekten“, erzählt Thomann im Gespräch. Die oft als Nahrungsquelle der Zukunft deklarierten Insekten bezeichnet er viel mehr als Nahrung der Gegenwart, das „Novel Food“ ist alles andere als neu. Für Thomann lohnt sich ein Blick über den Tellerrand. Seine Erfahrungen mit Menschen, die erstmals Insekten probieren, sind eindeutig: „Alle, die das kosten, sind begeistert. Insekten sind eigentlich sehr geschmacksneutral bis leicht nussig. Es kommt eben auf die Zubereitung an“. Von Burger, Lasagne, Chili bis hin zu Riegeln gibt es unzählige Speisen bereits in Insekten-Version. Der Zirp-Gründer beschreibt besonders die Symbolkraft, die von Insekten ausgeht, und den Schalter, der umgelegt wird, sobald man diese einmal probiert hat. „Insekten werden sich durchsetzen müssen. Wir werden keine andere Möglichkeit haben, mehr als 30 % der Treibhausgasemissionen kommen über unsere Ernährung. Der Fleischkonsum, wie wir ihn heute kennen, ist nicht weiter tragbar. Der Mensch wird aber weiter tierisches Protein verzehren wollen, und es wird über Insekten kommen“, so Christoph Thomann. Auch die Liste der zugelassenen Krabbeltiere wird laut ihm weiter wachsen. Als Hürde bezeichnet er in erster Linie die Fleischbetriebe, die maßgeblichen Änderungen kritisch gegenüberstehen. Dennoch bleibt der Zirp-Gründer optimistisch: „Wir wissen, dass wir diese Herausforderung lösen werden, aber es ist eins nach zwölf, und anstatt länger zu warten, sollten wir am besten heute schon den ersten Bissen machen“.

Wo es Krabbeltiere in der Gastronomie gibt

Das Crossfield’s Australian Pub bringt Down Under ins Herz des ersten Wiener Gemeindebezirks. Am Speiseplan stehen hier neben anderen Exoten auch Heuschrecken und Buffalo-Würmer.

Das Unternehmen „Zirp“ von Christoph Thomann bietet allerlei Gezirpe im Online-Shop. Wer mehr erfahren möchte, kann in Zirps Futurefoodstudio im 16. Bezirk außerdem einen Insekten-Kochkurs besuchen.

Skurrile Kombination? Im Eisg’schäft in Hernals gibt es die Krabbler mal süß. Der „Wurlibecher“ wird nämlich mit Mehlwürmern verfeinert. 

Hollers Steakhouse in Wiener Neustadt bringt Heuschrecken, Grillen oder Mehlwürmer bereits seit 2012 auf den Speiseplan. Genauso beeindruckend ist die Bandbreite an Gerichten: Ob Eintopf, Sack oder Süßspeise,  hier ist für jeden Geschmack etwas dabei.

Insektische Küche bietet mit seinen Kochkursen auch das Luculla Culinaria in Sulz, Vorarlberg. Der Workshop ist ideal für alle, die sich langsam herantasten wollen.

Portrait

Johanna Baumgartner

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