Zwischen Pick-up & Drop-off – Kritik an Lieferservice
Eine neue Ausstellung im Wien Museum beleuchtet den Boom der Liefergastronomie und ihre Schattenseiten.

Die Ausstellung „Zwischen Pick-up & Drop-off“ im Wien Museum rückt eine Branche ins Zentrum, die den urbanen Alltag in den letzten Jahren maßgeblich verändert hat: die Liefergastronomie. Während Restaurants und Plattformen um Marktanteile kämpfen und immer innovativere Konzepte entwickeln, stehen die Menschen hinter den Essenslieferungen oft im Schatten. Die Schau bietet einen Einblick in ihre Arbeitswelt – zwischen Zeitdruck, harter Konkurrenz und unsicheren Bedingungen. Doch sie wirft auch ein Licht auf den tiefgreifenden Wandel in der Gastronomie: Hybride Betriebe, Dark Kitchens und neue Logistiklösungen prägen längst das Geschäft mit dem gelieferten Essen.

Wachstumsmarkt Liefergastronomie
Der Markt für Essenslieferungen boomt – nicht erst seit der Pandemie, aber durch sie nochmals beschleunigt. Plattformen wie Wolt, Lieferando und Foodora sind längst fester Bestandteil des urbanen Lebens. Restaurants, die früher rein stationär arbeiteten, haben ihr Geschäftsmodell angepasst: Hybride Gastronomiebetriebe, die sowohl Gäste vor Ort als auch Lieferkunden bedienen, gehören mittlerweile zum Standard.
Ein weiterer Trend sind Dark Kitchens – Küchen ohne Gastraum, die ausschließlich für den Liefermarkt produzieren. Sie ermöglichen es Restaurants, mehrere Marken parallel zu betreiben, oft aus derselben Küche. Das steigert die Effizienz, bringt aber auch Herausforderungen mit sich: Höhere Provisionen für Plattformen, komplexere Logistik und steigende Erwartungen an Geschwindigkeit und Qualität.

Die Arbeitsrealität der Rider
Während sich Gastronomen und Lieferplattformen auf Wachstum und Innovation konzentrieren, sieht der Alltag der Essenslieferanten oft ganz anders aus. Hier setzt die Ausstellung im Wien Museum an: In Videoporträts, Interviews und Dokumentationen erzählen Rider von ihrem Arbeitsalltag – von den prekären Arbeitsverhältnissen, dem Konkurrenzdruck und der sozialen Isolation, aber auch von ihren persönlichen Hoffnungen und Ambitionen.
Ein zentrales Thema ist die Scheinselbstständigkeit: Die meisten Fahrerer sind nicht fest angestellt, sondern arbeiten auf Honorarbasis. Das bedeutet: Kein Fixgehalt, keine Krankenversicherung, keine bezahlten Urlaubstage. Wer Pech hat und in einer ruhigen Schicht zu wenige Aufträge bekommt, verdient entsprechend weniger. Aber es gibt auch Ausnahmen wie den vegetarischen Lieferdienst „RITA bringt’s“.
Viele der Rider haben zudem Fluchthintergrund und sind auf die Arbeit angewiesen, da sie kaum Zugang zu anderen Jobs haben. So wird die Essenslieferung für viele zur existenziellen Notwendigkeit – während Kunden ihr Essen bequem per App bestellen.
Kurator Fabio Hofer schafft mit Ausstellung eine Plattform für jene, die sonst oft anonym bleiben. Die Ausstellung erzählt von ihrem Alltag zwischen Straßenverkehr, Zeitdruck und persönlichen Hoffnungen.

Technologie verändert die Branche
Parallel zur sozialen Debatte verändert sich die technologische Infrastruktur der Lieferbranche rasant. E-Bikes, E-Scooter und E-Mopeds haben die Zustellzeiten verkürzt und ermöglichen neue Geschäftsmodelle. Während klassische Fahrradkuriere noch vor wenigen Jahren das Stadtbild dominierten, setzen Plattformen zunehmend auf firmeneigene Elektro-Flotten.
Für Gastronomen bringt diese Entwicklung neue Chancen und Herausforderungen: Optimierte Workflows, digitale Bestellsysteme und nachhaltige Verpackungslösungen werden immer wichtiger, um im Wettbewerb zu bestehen.
Ausstellung trifft Nerv der Branche
„Zwischen Pick-up & Drop-off“ zeigt, wie die Digitalisierung und neue Konsumgewohnheiten die Gastronomie revolutionieren – und welche sozialen Fragen dabei oft übersehen werden. Während hybride Restaurants und Dark Kitchens expandieren, bleibt die Rolle der Zusteller oft ignoriert. Gerade in den Wintermonaten erkennt man sie kaum auf ihren Scootern. Bei der Übergabe wird auch kaum noch gesprochen, weil die gelieferten Waren meistens schon im Voraus bezahlt werden.
Signifikante soziale Begegnungen finden weder bei der Arbeit noch beim Konsum statt. Die Gastronomie, einst ein Ort der Begegnung, des Austauschs und der gemeinsamen Erlebnisse, wird zunehmend fragmentiert. Die Kunden bleiben in ihren Wohnungen oder Büros, die Fahrer sind ständig in Bewegung, hetzen von Auftrag zu Auftrag – Zeit für persönliche Interaktion bleibt kaum.
Die vermeintliche Win-Win-Situation, in der Konsumenten bequem ihr Essen erhalten und Fahrer flexibel arbeiten können, entpuppt sich bei genauerem Hinsehen als eine doppelte Form der Isolation: Die Kunden entfernen sich immer weiter vom klassischen Restaurantbesuch und reduzieren ihre Interaktion auf das Minimum – eine digitale Bestellung, eine kurze Türöffnung, das war’s. Die Zusteller hingegen verbringen ihre Arbeitstage alleine, oft unter Zeitdruck, Wind und Wetter ausgesetzt, ohne soziale Einbindung in ein Team oder einen festen Arbeitsplatz.
Die Ausstellung „Zwischen Pick-up & Drop-off“ macht deutlich, dass diese Entwicklung längst Teil unseres Alltags ist – und regt zum Nachdenken an.
(PA/red)
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