Politisches Korrektiv

©Pragmaticus

Jedes vermaledeite Wort auf die Goldwaage legen zu müssen, geht mir gehörig auf den Sack.

Mein alter Freund Gustav ist das, was man als „mutig“ bezeichnet. Gustav, gleichzeitig mit mir herangewachsen, aus dem Gemeindebau in die Liga der Einfluss- und Reichen emporgestiegen, heute bekannt wie ein bunter Hund aus Film, Funk und Fernsehen, hat mich mit seiner geraden, offenen und ehrlichen Art immer begeistert. Motiviert. Inspiriert, es ihm gleich zu tun. Wann immer ich, gleich, ob in den sozialen, den Print- oder den Fernsehmedien, meinen Mund geöffnet habe, war das von einer zwar konturierten, aber auch klar ausformulierten Meinung getragen.

Ich habe damit versucht, so gut es geht, Gustav nachzueifern. Wenn der bei einem aufsteigenden TV-Sender seinen Senf auftischt, dann ist eines immer garantiert: Gustav zieht vom Leder, er polarisiert. Wie der Senderchef immer grinsend bemerkt: „Sie sind so out-spoken wie kaum einer sonst. Und das bringt Quote.“

In jüngster Zeit ist es leise um Gustav geworden. Kaum eines der brisanten Themen, zu denen er sich noch äußert. Selbst seinen ziemlich gefühllosen, nur das eigene Licht selbst darstellenden Facebook-Freunden ist das jüngst aufgefallen. „Wieso äußerst du dich nicht mehr zu Themen wie Corona-Misere, Winnetou-Verbot, zum Binnen-I-Tüpfel-Reiten, zu den Russland-Sanktionen, zur Migranten-Malaise oder zum Mexit?“ frug ihn jüngst eine seiner treuesten Instagram-Followerinnen.

Da fiel es mir wie Schuppen von den Augen: Auch ich agiere nur mehr schaumgebremst. Nach etlichen tausend Beschimpfungen, weil ich für eine Impfpflicht eingetreten bin, nach diversen Morddrohungen, die von der Staatsanwaltschaft allesamt mit der Qualifikation „in den sozialen Netzwerken geäußert – sind nicht ernst zu nehmen“abgeschmettert wurden, achte ich heute sorgfältigst darauf, was ich in welcher Tonalität absondere.

Der Pragmaticus, 2021 von Dietrich Mateschitz gemeinsam mit Prinz Michael von und zu Liechtenstein ins Leben gerufen und situiert in Schaan in Liechtenstein, bringt es nach eigenen Angaben „auf den Punkt“. Dort schreibt Barbara Zehnpfennig, Professorin für politische Theorie und Ideengeschichte an der Universität Passau, über Cancel Culture. Adrian Daub, Professor an der Stanford University, der den Band „Cancel Culture Transfers – wie eine moralische Panik die Welt erfasst“ schrieb, zieht über die Diskurs-Malaise unserer modernen Gesellschaft ins Feld.

Ob Identitätspolitik (die Zusammenfassung von Menschen mit gleichen Merkmalen, wie Frau sein, schwul sein, Muslim sein, in Kollektiven sowie die Verfolgung einer Politik, die diesen mehr Rechte, mehr Einfluss, mehr Ressourcen erkämpfen soll und damit laut These die individuellen Unterschiede zum Verschwinden bringen soll) oder Cancel Culture – hier wird eine heile Welt verteidigt, die es nicht gibt. Von Karl May über die koloniale Vergangenheit, von der radikalen Durchsetzung der Mitglieder des Kollektivs bis zur Sexismus-Jagd reicht der Erläuterungsbogen, dem uns diese Publikation drastisch näherzubringen versucht. In knappen und klaren Worten. Wir sind allesamt gefangen in dem, was man als „politisch korrekt sein um jeden Preis“ bezeichnet. Wer kein Binnen-I kommuniziert, achtet die Frauen nicht. Wer es wagt, dazu zu stehen, dass es einen Unterschied zwischen Mann und Frau gibt und ein drittes Geschlecht eigentlich nicht vorgesehen war, der kann sich auf einen Shitstorm sondergleichen einstellen. Wer zugibt, Karl May zu lesen, in der Mohrenapotheke etwas gekauft zu haben oder noch „Grüß Gott“ sagt, der sollte sich besser warm anziehen.

Es geht eher darum, Probleme zu negieren, als sie zu lösen

Die Vorreiter von absoluter politischer Korrektheit, von Armin Wolf über Florian Klenk bis zu Oscar Bronner, lassen ihren Einfluss, ihre Medienmacht und ihr politisches Gewicht als vierte Macht ordentlich heraushängen, wenn es darum geht, alle anderen zu bevormunden.

Doch hinter der Fassade schaut’s nicht ganz so fröhlich aus, wenn Herr Wolf beim Gleichbehandeln von Interviewpartnern ziemlich alt ausschaut, Herr Klenk betont, dass er beim privaten Urlaub mit Repräsentanten des Wiener Bauentscheidungsklüngels natürlich aus eigener Tasche bezahlt hat und Bronner und Co. ihr Geschäftsmodell mit anonymen Usern, die sich camoufliert im Standard-Forum austoben können, zu Kohle machen.

Die „neue“ Qualität (na, eigentlich ist’s ja das Gegenteil), in jeder Situation genau das Richtige zu sagen, zu schreiben, zu kommunizieren, geht immer mehr Menschen gehörig auf den Sack. Je mehr wir alle dazu motiviert, getrieben und genötigt (Sie merken, das steigert sich) wurden, nur mehr politisch korrekt zu handeln, desto widerwärtiger wird das daraus entstehende Gefühl der Unfreiheit.

Anfangs dachte ich ja noch: Es ist schon gut so, dass man die Frauen nicht mehr als Weiber beschimpfen durfte, Schwarze in Amerika nur mit dem etwas komplizierten Ausdruck „Afroamerikaner“ bezeichnen durfte. Doch die Sache hat sich fatal verschärft. Jüngst ertappte ich mich dabei, dass ich fast täglich vor dem Einschlafen den roten Band „The Genesis of Political Correctness: The Basis of a False Morality“ von Michael Williams studiere, um nur ja nicht in irgendeinen Fettnapf zu treten. Man weiß ja nie, ob die Formulierung „durch den Rost fallen“ jetzt gerade noch durchgeht (nein, Menschen wie ich, die sich mit Etymologie beschäftigt haben, wissen schon seit Jahrzehnten, was hinter diesem Scheißspruch steckt).

Es ist ein neues Biedermeier, in das wir da taumeln. Eine neue Zeit der 15 Maulkörbe, die einem vor dem Gesicht hängen, der Scheuklappen, der Typen links und rechts von dir, die dir dieselben in die einzig richtige, von der Gesellschaft akzeptierte Richtung drehen. Fazit: Ehrlich gesagt geht mir das Ganze schon furchtbar auf den Geist.

Christian W. Mucha

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